
---71° 10´21" nördliche Breite ---
Der Anblick ist unbeschreiblich. Das Dämmerlicht - halb Tag, halb Nacht - wirkt surreal. Nach 14 Stunden fahrt über einen einsamen Highway erreicht der leuchtend rote VW Bus endlich das angepeilte Tagesziel: einen versteckten See in einem kleinen Tal, umgeben von endloser Natur und schneebedeckten Bergen. Nur ein paar Rentiere heben in einiger Entferung kurz die Köpfe und schauen interessiert herüber, dann grasen sie friedlich weiter. Der Motor ächzt ein letztes Mal und es kehrt wieder Ruhe im Tal ein. Nur noch der Wind isz zu hören, ansonsten herrscht Stille.
Keine halbe Stunde nachdem der rote Bus am See angekommen ist, tauchen noch zwei weitere VW Bullis hinter der Bergkuppe auf und nehmen Kurs auf das Tal. Das Team ist endlich wieder vereint nach einem langen, anstrengenden Tag voller faszinierender Eindrücke entlang der Piste. Schnell ist das Camp aufgebaut, der Gaskocher wird angeworfen, alle erzählen und lachen wild durcheinander. Es wird nach und nach wieder hell, die Sonne erhebt sich hinter der Bergkette und taucht alles in goldenes Licht. Man könnte meinen, jetzt wäre die perfekte Zeit für ein Outdoor-Frühstück, doch ein kurzer Blick auf die Uhr verrät: Es ist gerade erst halb zwei Uhr nachts. Das Team befindet sich keine halbe Fahrtstunde vom nördlichsten Punkt des Europäischen Festlandes entfernt: rund zehn Kilometer weiter liegt das Nordkap.
Ein verrückter Plan wird zu einem realen Abenteuer
Einmal ganz weit in den Norden Europas fahren, so weit wie möglich. Einmal die endlosen Weiten Norwegens erleben, an einsamen Fjorden campen und inmitten der Sommernacht den Sonnenaufgang erleben. Mit diesen Bildern und Träumen im Kopf hat sich Jan Erdl, Filmemacher und Fotograf aus Bielefeld, vor mehr als einem Jahr daran gemacht, einen alten VW Bulli T2 Baujahr 1975 aufzukaufen und mit Hilfe von Freunden und Partnern in ein tourenfähiges Wohnmobil umzubauen. "So ein alter Bulli hat fast eine eigene Persönlichkeit. Es hat viel Zeit und Mühe gekostet, ihn von Grund auf zu erneuern und dann so auszubauen, dass der ursprüngliche Charakter erhalten bleibt" ,erinnert sich Jan. Gemütlich und praktisch sollte es sein, im 70er- Jahre-Stil, aber auch qualitativ hochwertig, belastbar und auf engstem Raum verbaubar. Bei den Ausbararbeiten reift der Plan, mit Freunden und gleich mehreren Bullis auf große Tour in die Wildnis zu fahren. Am Ende sind sie zu neunt, sieben junge Männer und zwei Frauen, die sich auf drei Wagen verteilen: Außer dem frisch restaurierten T2 sind noch ein antriebstarker T2 Syncro und ein gelber T3 Westfalia dabei. Sie entschließen sich, an der der legendären Baltic Sea Circle Rally (BSC) teilzunehmen, einer der größten Adventure-Rallys Europas für Oldtimer. 7.500 Kilometer rund um die Ostsee, zehn Länder, in 16 Tagen. "Eine ernorme Herausforderung für unsere drei Bullis mit ihren teilweise nur 50PS, aber auch für jeden Fahrer und Beifahrer. Gut, dass wir vorher nicht wussten, was uns so alles erwartet", lacht Jan.
Als die drei Bullis im im Juli 2019 gemeinsam mit 270 weiteren Teams endlich über die Startlinie auf dem Hamburger Fischmarkt rollen, beginnt nicht nur eine Rally, sondern auch für jeden einzelnen im Team eine Herausforderung mit ungeahnten Höhen und Tiefen. 16 Tage wildes Campen in Schweden, Norwegen, Russland und den baltischen Staaten, jenseits der Zivilisation- das hat noch keiner von Ihnen vorher gemacht. Vollgepackt mit einer wohlüberlegten Campingausrüstung samt Solartechnik und modernstem Kameraequipment geht es los.
Mit dabei sind unter anderem Dennis, eine Filmemacher aus Bremen, der mit seinem Indie-Film "Projekt Antarktis" 2018 in den deutschen Kinos gelandet ist, Braedin, ein kanadischer Outdoor-Fotograf und Influencer, der die Welt bereist und einzigartige Fotografien auf seinen Kanälen teilst. Zusammen mit Jan halten Sie an den schönsten Spots die Erlebnisse der Reise fest.
Nach ersten ereignisreichen Tagen in den Wäldern Schwedens und Norwegens naht eines der Streckenhighlights: die Lofoten. Hnter dem Team liegen endlose Touren durch skandinavische Natur, Abende am Lagerfeuer, Übernachtungen am Seen, Flüssen und an einem tosenden Wasserfall, aber auch die Strapazen einer defekten Lichtmaschine beim T2 und eines Kabelbrandes im T3. Beides lässt sich zum Glück beheben - auch dafür sind Experten im Team vorhanden. Sie geben alles, um die Teamwagen wieder flott zu bekommen- mit teilweise höchst kreativen Mitteln, wenn Ersatzteile fehlen. "Als die Lichtmaschine meines Bullis schlapp machte, behalfen wir uns mit dem Blech einer Bierdose, um ein ausgeschlagenes Kugellager zu stabilisieren", erinnert sich Jan kopfschüttelnd. " Was soll ich sagen: Es hat funktioniert, zumidest für einige Zeit. Die Lichtmaschine fiel danach noch mehrmals aus, aber wir haben unterwegs immer freundliche Menschen getroffen, die uns ihre Werkstatt überlassen oder sogar stundenlang mitgeschraubt haben. Wir haben so viel Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft erfahren.
Mit den Surfbrettern ins Nordmeer
Bekannt für steile Berge, schroffe Klippen und eine stürmische See, lassen etwas später die Lofoten vor allem die Herzen von Phillip und Daniel höher schlagen. Sie sind die Profisurfer im Team und haben dank einer stabilen Bretthalterung ihre Surfboards mit dabei. Mit Neoprenanzügen am Leib und lautem Johlen werfen sie sich ins eiskalte Wasser der Arktischen See. "Jeder ist auf dieser Reise an seine Grenzen gegangen, wurde dafür aber auch immer wieder mit ungeahnten Hochgefühlen belohnt" , schildert Jan.
Kilometer für Kilometer geht es weiter gen Norden, bis endlich der Nördlichste Punkt Europas erreicht ist. Am Nordkap hat es nur knapp über null Grad, als die Bullis dort ankommen. Deutschland stöhnt zu dieser Zeit unter einer Hitzewelle, eine fast unwirkliche Vorstellung. Die schroffe Landschaft, ein harter Wind, vor allem aber das allgegenwärtige Licht, das nie verschwindet, schaffen eine geradezu mystische Atmosphäre. Lange aufhalten kann sich das Team am Nordkap nicht, Sie müssen weiter, schließlich fahren sie eine Rally.
Irgendwann finden sich die drei Wagen auf einer einsamen Waldlichtung in Finnland wieder. Es dämmert schon, als sie endlich ankommen. Alle sind durchgefrohren, es nieselt, und der Hunger ist groß. Für Jan ist das ein Moment, den er dank Movera zum Guten wenden kann. Er packt seinen großen Gaskocher mit zwei Brennern und seine Feuerkanne aus, in der Wasser mithilfe von Brennholz rasch aufgekocht werden kann. Schon bald dampfen Chili con Carne und Reis auf den Tellern - die Wärme im Bauch lässt alle Teammitglieder entspannen. "Das Tolle ist, dass diese Kombi ohne Strom funktioniert und dass der Gaskocher nicht fest im Bulli verbaut sein muss. Damit ist man in der Natur flexibel, das Essen wird schnell fertig, und die Gerüche bleiben draußen statt im Wagen", berichetet Jan später, als er an diesen Abend zurückdenkt.
Durch die weiten Russlands und des Baltikums
Die Rally führt sie weiter durch Russland und die baltischen Staaten- die Landschaft verändert sich ständig, die Freundlichkeit der Menschen am Wegesrand aber bleibt. Oft werden die Bulli- Fahrer angesprochen, auf einen Tee oder ein Bier eingeladen, doch nicht immer können sie bleiben. Sie müssen weite Strecken bewältigen und wollen ihre Tour auch fotografisch und filmisch festhalten. Dank Ladebooster, Lithiumboardbatterie und Solaranalge ist immer genug Strom vorhanden, um alle Kameras zu versorgen. So entstehen fantastische Bilder, und das Team kann es sich leisten, Ballungszentren und refuläre Campingplätze zu umfahren. "Die gibt es ja in Russland ohnehin nicht, haben wir festgestellt. Zum Glück waren wir weitestgehend autarkt", lacht Jan.
Kurz vor der Deutschen Grenze wird noch einmal groß Aufgetischt, Dank Feuerschale und Dutch Oven weht schon bald ein verführerischer Duft über das Gelände. "Das war zwar noch kein Abschiedsessen, aber die Reise neigte sich unweigerlich ihrem Ende zu", erinnert sich Jan. Die Gruppe spricht bis tief in die Nacht über das Erlebte, sie lachen und diskutieren, was bei der nächsten Rally auf keinem Fall fehlen darf. "Mindestens ein Liter Mückenspray", wird in die Runde geworfen, und alle stimmen einhellig zu. Eine zweite Dachbox wäre auch eine Überlegung wert, denn ohne die große Box auf Jans T2 wäre es sicher nicht gegangen.
Nach fast 8.000 Kilometern fahren die VW- Bullis endlich in Hamburg über die Ziellinie. Glücksgefühle, Dankbarkeit, Stolz aber auch ein bisschen Wehmut, Müdigkeit und Sehnsucht nach einer langen Dusche- jede und jeder im Team verbindet den Moment mit ganz eigenen Emotionen. In den vergangenen 16 Tagen ist so viel passiert, dass es wohl Wochen dauern wird, bis das Erlebte sortiert und verdaut ist. Für Jan bleibt am Ende die beglückende Gewisseheit, ein großes Abenteuer erlebt und es mit seinem 44 Jahre alten Bulli tatsächlich bis zum Nordkap und rund um die Ostsee geschafft zu haben. Ob er so einen Roadtrip noch einmal in Angriff nehmen würde? Für ihn ist die Antwort klar: " Na sicher! Aber dann vielleicht ohne Rallyefieber, mit etwas mehr Zeit im Gepäck. Dann lassen sich Land und Leute besser genießen. Mit 50 PS ist man ohnehin langsamer unterwegs als gedacht."